Textfragmente von Witek Danielczok

Gedanken (1)

Die Heimat eines Menschen liegt irgendwo und überall in seiner Kindheit und Jugend, genau dort, wo der Körper noch offen für jede Wahrheit ist, die sich in der Sprache konstruieren lässt. Das Ich kann eigene Wahrheiten finden und für sich in Anspruch nehmen, um sie dann beliebig gegen andere auszutauschen. Das Ich kann alles sein und werden. Doch sobald der Körper seine innere und äußere Entwicklung vollendet hat, ändert sich auf einmal alles. Von da an gibt es nur noch eine einzige Wahrheit für das Ich – die des Körpers, in dem es steckt. Und obwohl die Sprache mit ihrer ungeheuren Fülle an Gestaltungsmöglichkeiten der Wahrheit sich dem Ich weiterhin anbietet, kann es für sich aus dieser Fülle nur das herausgreifen, was der inneren und äußeren Beschaffenheit des Körpers entspricht. Der Körper schottet das Ich von der Mehrheit der Sprache ab und begeht somit einen Verrat. Der Verlust der Heimat ist ein Verrat des Körpers am Ich. Die von ihm erschaffene Persönlichkeit besiegelt den Verrat.

Gedanken (2)

Sprache ist die Summe aller Dinge und ihrer Beziehungen zueinander.

Gedanken (3)

Es gibt keine endgültige Heimat. Der Mensch kann immer wieder eine neue gründen. Er muss dabei nicht mal umziehen. Es genügt, dass er anstatt der einen Gesten, die er bis jetzt gemacht hat, nun andere macht; dass er sich andere Mimik angewöhnt; dass er andere Worte benutzt, Worte anders betont; dass er anderes Essen zu sich nimmt, andere Musik hört, andere Meinung vertritt und an etwas anderes glaubt. Die Heimat liegt immer in der Sprache. Und wenn ich Sprache sage, meine ich nicht die Sprache eines Landes, eines Volkes, einer Region – ich meine Sprache in ihrer Gesamtheit, als das alles, was die Welt ist.

Ändert man die Persönlichkeit, gründet man eine neue Heimat.

Gedanken (4)

Persönlichkeit ist ein Schlüssel, der nur zu bestimmten Schlössern passt. Ändert man die Persönlichkeit, schließt sie Räume auf, die zuvor unzugänglich waren.

Gedanken (5)

Nicht, dass ich nicht andauernd erschrocken wäre. Aber der Schrecken hat in letzter Zeit seine fieberhafte Dringlichkeit verloren und ist zu einem Hintergrundrauschen geworden, das sich mit lauter Nichtigkeiten, mit lauter Augenwischerei leicht überspielen lässt. Ich bin kurz davor, den Jahrzehnte alten Schrecken, der aus dem Verlust der Heimat meines Ichs entsprungen ist, völlig abstumpfen zu lassen. Das heißt, ich bin kurz davor, mich selbst zu verleugnen. Und das wiederum heißt, ich bin kurz davor, mein Ich spurlos vergehen zu lassen.

Gedanken (6)

Der Mensch ist ein Werkzeug der Sprache.